Aus den GKP-Informationen

Schneesturm im Sommer

| 4 min Lesezeit

geschrieben von Doris Wiese-Gutheil

Martin Echterhoff, Redakteur bei MDR Nachmittag in Leipzig, beschreibt in den GKP-Informationen sein „Abenteuer im Beruf“:

 

Der Himmel über Moskau war stahlblau. Und es war sehr warm in diesem Spätsommer. Wir, also das Kamerateam, unsere Dolmetscherin und ich als Autor, waren in die russische Hauptstadt gekommen, um einen Magazinbeitrag für das Wissenschaftsmagazin „Globus“ der ARD zu drehen. Zehn Minuten – Hochglanz. Das war der Plan. Das Thema: Die „Mrija“, das größte Transportflugzeug der Welt – auch bekannt unter der Typenbezeichnung Antonow An-225. Eine Maschine der Superlative: Sechs gewaltige Motoren, ein Doppel-Seitenleitwerk am Heck und Rekordhalter der schwersten Last, die je mit einem Flugzeug transportiert wurde. Eine 247 Tonnen schwer Ölpipeline-Ausrüstung.

Wir waren ganz konventionell nach Moskau geflogen. Mit einem Airbus 320 der Aeroflot. Der Flug von Leipzig verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Die „Mrija“, was auf ukrainisch Traum bedeutet, hatte sich als Gast auf dem Nationalen Flugtag Max-2001 angekündigt. Dort sollten wir drehen dürfen. Wochenlange Verhandlungen mit dem Antonow-Werk waren unserer Reise vorausgegangen. Olga, unsere ukrainische Dolmetscherin hatte sie kompetent geführt und schließlich alle Zusagen und Genehmigungen erhalten. Es sollte also nichts mehr schief gehen können, so dachten wir.

Am Militärflugplatz Tschakalowski unweit des legendären „Sternen-städtchens“ gerieten wir am Einlass zunächst in ein großes Gedränge, aber schon bald hatten wir unsere Akkreditierung und konnten auf das Gelände. Und dort stand sie auf dem Rollfeld. Riesig und strahlend weiß mit damals noch rotem Zierstreifen, die An-225. Bald hatten wir auch den Messestand von Antonow ausgemacht mitsamt dem für uns zuständigen Pressemenschen. Die Arbeit konnte beginnen: Interview mit der Vorstandsvorsitzenden, Impres-sionen der „Mrija“ auf dem Rollfeld. Danach gab man uns die Hand und wollte sich verabschieden. Wir waren leicht verdutzt, denn die wichtigsten Bilder standen noch aus. Beim Flug im Cockpit, reportagiges Begleiten der Crew während des Flugs und situative Interviews. Geduldig erklärte Olga das den Leuten von Antonow, die zwar nickten, aber merkwürdig zurückhaltend wurden.

Um es kurz zu machen. Wir konnten diese Bilder nicht drehen. Und damit wurde auch nichts aus dem Film für „Globus“. Wenigstens waren die Antonow-Leute so ehrlich und verrieten uns den Grund für ihre plötzliche Weigerung. Sie hatten Angst vor Spionage durch die ARD. Vor einiger Zeit hatten sie ihr Werk für die Berichterstattung des ARD-Russland-Korrespondenten geöffnet. Udo Lilischkies war offenbar mehrere Wochen dort. Sie hatten ihm alles gezeigt. Ein halbes Jahr später hatte Airbus verkündet, das Transportflugzeug A 400 zu bauen. Es hatte ein ähnliches Design wie die Transportmaschinen von Antonow. Man war sich sicher: Lilischkies hatte für Airbus spioniert.

Ob es so war, hab ich den Kollegen nie gefragt. Nachdem sich inzwischen aber herausgestellt hat, was der A-400 für ein Pannenflieger ist, haben für ihn die robusten und zuverlässigen Maschinen von Antonow wohl eher nicht Pate gestanden. Doch das half der Firma nichts. Sie hatte ein Geschäft im Westen machen wollen, mit dem A-400 ging das nicht mehr.
Wir waren ziemlich geknickt. Kamen aber dennoch mit einem Trostpflaster nach Hause. Ganz durch Zufall erfuhren wir, dass eine Legende der russischen Raumfahrt im Raumfahrt-Zelt des Messeteils des Flugtages zu Besuch gekommen war. Der Raumfahrtingenieur Gleb Jewgenjewitsch Losino-Losinski. 92 Jahre alt, erzählte er uns voller Stolz vom Flug der „Buran“, dem russischen Pendent zum Space-Shuttle. Er hatte die Fähre konstruiert. Und da schließt sich der Kreis: Die Raumfähre Buran – Buran ist das russische Wort für Schneesturm – wurde Huckepack auf der „Mrija“ transportiert, so wie damals die amerikanischen Shuttles auf den Jumbos. Für diesen Zweck war die „Mrija“ ursprünglich gebaut worden. Zum Glück stand damals eine „Buran“ in einem Moskauer Vergnügungspark. Zusammen mit Bildern aus einem Raumfahrtmuseum und Archiv-Material entstand ein kleiner, hübscher Magazin-Film. Der lief zwar nicht im Ersten, sondern nur im Dritten, aber immerhin mussten wir nicht unverrichteter Dinge nach Leipzig zurückkommen. (Den Film kann man sich noch im Internet anschauen. Einfach bei Google suchen: MDR Geschichte der Buran).