Interview

„Das ist Zentralismus und Autoritarismus pur“

| 9 min Lesezeit

„Das ist Zentralismus und Autoritarismus pur“

geschrieben von Joachim Frank

Vor kurzem ging der Synodale Weg in Deutschland zu Ende. Er polarisierte wie kaum ein anderes Kirchenereignis der vergangenen Jahre. Eine Tagung im Juni in Würzburg nimmt Synodalität wissenschaftlich unter die Lupe. Ein Gespräch mit der Mitorganisatorin Professorin Julia Knop.

Frau Knop, der Titel Ihrer Tagung lautet „Synode als Chance.“ Chance für wen?
Julia Knop: Für die Kirche. Synodale Prozesse ganz generell haben das Potenzial und die Aufgabe, die Kirche und ihre Lehre weiterzuentwickeln. Synoden sind Organe der Leitung im Team. Unsere Tagung interessiert sich für die Dynamiken, die in der Kirche mit solchen Formen der Leitung in Gang kommen, welche Commitments dabei entstehen und wie Kirche als soziales Gebilde sich verändert.

Das mag sich irgendwann in einer Langzeitbetrachtung zeigen. Aktuell setzt Rom der „Dynamik“ des Synodalen Wegs ein Stoppschild nach dem anderen entgegen.
Umso spannender ist doch die Frage, ob aus synodalen Prozessen auch Energien zur Überwindung der beharrenden, restaurativen Kräfte entstehen können. Genau das scheint man in Rom zu fürchten. Es fällt ja doch auf, wie schnell und punktgenau die römischen Behörden jetzt gegen alles vorgehen, was in Deutschland an Reformen sofort umgesetzt werden könnte. Und zu den großen Fragen, die mit der „Weltkirche“ oder der Zentrale abgestimmt werden müssten, zeigt Rom nicht einmal im Ansatz Gesprächsbereitschaft. Das ist Zentralismus und Autoritarismus pur, Ausdruck eines alten Systems, das weder den Prozess als solchen noch die Anliegen der Erneuerung würdigt und auch nicht wahrnimmt, wie groß der innere Druck ist.

Haben diese Reaktionen Sie überrascht?
Nein, überraschend ist das nicht. Aber inhaltlich ärgerlich ist es schon – und in dieser Form brüsker Abwehr auch unangemessen und respektlos. Zumal eine Reihe von Reformbeschlüssen nach Auffassung von Kirchenrechtlern gar keiner ausdrücklichen Genehmigung Roms bedürfte. Da stehen offensichtlich verschiedene Rechtsauffassungen im Widerspruch zueinander. Jetzt muss sich zeigen, wie wichtig Bischöfe und Laien ihre synodalen Commitments nehmen – ob sie mehr darin sehen als unverbindliche Vorschläge, die Rom mit einem lapidaren „Nein, wollen wir nicht“ vom Tisch fegen kann.

Ein Aufruf zum Ungehorsam?
Wir sind in einer Phase, in der jeder Bischof, jeder Priester, jeder gläubige Katholik und jede gläubige Katholikin den eigenen Ort im System klären und für sich die Frage beantworten muss, was sie zur Gestaltung und Entwicklung der Kirche ermächtigt: innere Überzeugung und Expertise oder äußere Setzung und Erlaubnis von oben.

Schon die Reformdynamik der Würzburger Synode der 1970er Jahre wurde von Rom ausgebremst und blieb faktisch ergebnislos. Erweist sich der Synodale Weg als Fortsetzung einer Abwärtsschleife in Sachen Kirchenreform?
Es ging beim Synodalen Weg nicht darum, das römische Desinteresse an ortskirchlichen Anliegen masochistisch noch einmal zu erleben und sich wieder eine Ohrfeige einzufangen. Es ging darum, dass die Reformthemen auf den Tisch müssen. Dazu gibt es keine Alternative.

Und dafür war der Synodale Weg das Mittel der Wahl?
Wir haben auf dem Synodalen Weg lernen müssen, dass die Statuten und Regularien ihre Schwächen hatten. Aber „Mittel der Wahl“ stimmt trotzdem, weil Synodalität eine andere Form der Repräsentanz im Katholizismus darstellt als das althergebrachte, amtlich-hierarchische Top-Down-Prinzip. Synodalität, wie wir sie gestaltet haben, folgt der Überzeugung: Entscheidungen werden besser, wenn mehr Menschen beteiligt und mehr Perspektiven wahrgenommen werden. Genau das haben wir auf dem Synodalen Weg realisiert.

Und wie groß ist Ihr Frust knapp zwei Monate später?
Nach drei Jahren Synodaler Weg bin ich desillusioniert und ernüchtert, was die soziale Realität von Macht, also die realen Kräfteverhältnisse in der Kirche, angeht. Auf den Prozess und die Texte lasse ich dennoch nichts kommen. Sie haben zwar – wie immer in demokratischen Prozessen – heftigen Kompromisscharakter, sie bleiben oft weit hinter dem zurück, was nötig wäre. Aber die Richtung stimmt. Und vor allem: Die Texte haben breiten Konsens gefunden, Zustimmungswerte von 80 bis 90 Prozent erreicht. Welche Top-Down-Entscheidung kann das für sich behaupten?

Ihre Tagung ruft die Würzburger Synode als „Innovationsereignis“ aus. Muss das nicht auch das 50 Jahre danach wie blanker Hohn klingen?
Die Tagung will nichts proklamieren, sondern rekonstruieren, auf welchen Ebenen Würzburg, aber auch Frankfurt und die laufende Weltsynode Innovationsdynamiken freigesetzt haben. Der „Geist von Würzburg“ hat eine ganze Generation von Katholikinnen und Katholiken bewegt und motiviert. Das war doch nicht nichts.

Wenn man auf tatsächliche Veränderungen schaut, war dann diese innere Reformbewegung nicht wesentlich schwächer als zum Beispiel der äußere Druck, den staatliche Gerichte auf eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts ausgeübt haben?
Das ist kein Entweder-oder. Vielleicht waren die Druckwellen gerichtlicher Entscheidungen und öffentlichkeitswirksame Aktionen wie #outinchurch faktisch wirksamer als der Synodale Weg. Aber er hat es geschafft, dass auch die Bischofskonferenz ein qualifiziertes Verhältnis zum Thema geschlechtliche Identität und Integrität gefunden hat und sich nicht nur widerwillig von den besagten richterlichen Druckwellen hat schieben lassen.

Sie schauen in Würzburg auch nach vorn auf die Weltsynode in Rom. Welche Erwartungen verbinden Sie damit?
Das Pontifikat von Papst Franziskus trägt das Label Synodalität. Aber es besteht große Uneinigkeit, was das eigentlich ist. Wie so oft, wurde in Rom sogleich ein Papier geschrieben, dass das synodale Prinzip an der hierarchischen Verfasstheit der Kirche eigentlich nichts ändere. Der Kniff, der diese These unterfüttert, ist die Trennung zwischen Beraten und Entscheiden: Die Gläubigen sollen im synodalen Verfahren einbezogen werden, aber nur so lange, bis die Phase des „Aufeinander hören“ und „Miteinander ins Gespräch kommen“ in die Phase der Entscheidung übergeht. Diese Entscheidung bleibt dann wieder dem Lehramt vorbehalten. Gegen diesen Versuch eines römischen Framings für Synodalität, wie es jetzt auch auf der Prager Europa-Synode zur Vorbereitung des Welttreffens praktiziert wurde, gibt es nicht nur in Deutschland ein großes Aufbegehren. So funktioniert Synodalität nicht. Die Kirche ist derzeit ein Experimentierfeld für synodale Praxis. Zu unserer Tagung haben wir Referentinnen und Referenten aus Lateinamerika und Australien eingeladen, die von ihren Erfahrungen mit Synodalität im Katholizismus berichten werden. Welches Format hat welchen Effekt? Das wird die spannende Frage sein.

Ist Synodalität die getaufte Version von Demokratie?
Zum Verhältnis von Kirche und Demokratie gibt es fast schon einen Wettbewerb um die stärkste Unvereinbarkeitsklausel. Das ist aber Unsinn und zeigt nur, wie viel antimoderner Geist im gegenwärtigen Kirchensystem nach wie vor steckt. Für die zentrale Frage nach angemessenen Entscheidungsprozessen in der Kirche könnte Synodalität tatsächlich die christliche Version von Demokratie sein. Kirche und demokratische Gesellschaften teilen ja dieselben Grundüberzeugungen: Zuallererst Freiheit und Gleichheit aller Gläubigen, woraus eigentlich der gleichberechtigte Zugang zu allen Positionen folgen müsste. Aus der Vorstellung der Sakramentalität der Kirche könnten wir Strukturen und Verfahren ableiten, die kirchliches Handeln wirklich heilsam und bedeutungsvoll sein lassen und Räume öffnen, in denen die Menschen Freiheit, Gleichheit, Verbundenheit untereinander oder auch Schuldbewältigung und Versöhnung erfahren können.

Was hätte Kirche der Demokratie voraus? Muss sie ihr etwas voraushaben?
Ich bin mir da nicht sicher. Faktisch gilt doch umgekehrt: Die Kirche hat mit ihren Machtstrukturen und ihrer Debattenkultur einen Nachholbedarf gegenüber der Demokratie. Die Kirche müsste sich dringend von Formaten und Positionen verabschieden, die manche zwar für typisch, sogar unverzichtbar katholisch halten, die aber dem Geist des Evangeliums und demokratischen Prinzipien widersprechen. Ein Prä der Kirche aus dem Geist des Evangeliums könnte das Grundvertrauen sein, dass Menschen einander gut sein können – nicht „Wolf “ (homo homini lu-pus), sondern „Nächster“ und „Nächste“.

Im Untertitel Ihrer Tagung steht: „Was Kir-che braucht, damit sie weitergeht.“ Also: Was braucht sie?
Menschen, die noch Kirche sein wollen: ihre Gestaltungskraft, Expertise, Souveranität und Selbstermächtigung im Glauben – auch zum Widerspruch.

Warum sollten solche Menschen in der Kirche bleiben?
Sie tun es zumindest noch. Weil diese Kirche ihre Weise zu glauben geprägt hat. Weil sie hier religiös aufgewachsen sind, weil in diesem Umfeld ihr Gottvertrauen gewachsen ist. Religiosität passiert nicht im luftleeren Raum, sondern braucht menschliche Verbundenheit, eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Symbole. Das alles ist nicht ohne Weiteres auswechselbar. Es kann Brüche geben, klar. Manchmal hilft nur noch totale Distanz, auch das. Aber dass sich immer noch so viele in dieser Kirche engagieren, dafür gibt es zwei entscheidende Gründe: das Gefühl, dass sie keine Alternative finden, die ihnen eine passende Sozial- und Sprachform für ihren Glauben bietet. Und das Gespür, dass Zentralismus und Klerikalismus nicht das sind, was Kirche ausmacht, sondern – im Gegenteil – dem Sinn von Kirche widersprechen.

 

Die Tagung „Synode als Chance“ findet vom 1. bis 3. Juni in Würzburg statt. Am Ort der Synode von 1971 bis 1975 gehen Referentinnen und Referenten der Frage nach Innovationsdynamiken durch synodale Prozesse nach. Neben Julia Knop sind mit Thomas Arnold, Johanna Beck, Joachim Frank, Maria Mesrian und Claudia Nothelle weitere GKP-Mitglieder beteiligt. Weitere Informationen und Anmeldung: www.synode-als-chance.de