Regionalgruppen

„Vier Monate arbeiten, zwei davon bezahlt“

| 4 min Lesezeit

geschrieben von Felix Neumann

„Faire Mobilität“ – das hört sich nach Umweltschutz und Verkehr an. Doch bei dem gleichnamigen Projekt geht es um Geld und faire Löhne. Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa werden in Deutschland oft Opfer von Lohndumping und Betrug. Seitdem 2011 die Beschränkungen auf dem Arbeitsmarkt der EU für osteuropäische Staaten gefallen sind, werden manche Arbeitnehmer aus diesen Ländern hierzulande ausgebeutet. Oft auch deshalb, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) versucht mit einem bundesweiten Projekt „Faire Mobilität“ auf das Problem aufmerksam zu machen und ausländische Arbeitnehmer zu beraten. In Deutschland gibt es sechs solcher DGB-Beratungsstellen, eine davon in Stuttgart. Die GKP-Region Südwest besuchte zusammen mit dem Ökumenischen Presseclub Baden-Württemberg Ende März diese Beratungsstelle. Zu dem Termin kamen auch Vertreter der Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg sowie des Katholischen Büros. „Das Projekt ist erfolgreich. Ich muss dazu sagen: leider erfolgreich“, berichtet die stellvertretende baden-württembergische DGB-Vorsitzende Gabriele Frenzer-Wolf. „Es ist erschreckend, wie viel Bedarf es an Beratung gibt.“ Dominique John, Projektleiter der Aktion „Faire Mobilität“ in Berlin, ergänzt: „Wir wollen das, was Osteuropäer hier zum Teil erleben, in die Gewerkschaften hineintragen. Denn wir diskutieren darüber, ob wir uns auch um Nichtmitglieder kümmern sollen.“ Der Bedarf ist offenbar groß. Katarina Frankovic und Dorota Kempter bieten ihre Beratung in der Stuttgarter Nikolausstraße 21 in den Räumlichkeiten der katholischen Betriebsseelsorge an. Mit der Betriebsseelsorge arbeiten die DGB-Fachfrauen eng zusammen. „Wir setzen uns für gute Arbeit ein. Das tun wir zusammen mit anderen 16 Akteuren in einem Arbeitnehmernetzwerk hier in Stuttgart“, sagt Betriebsseelsorger Wolfgang Herrmann. Was die Beraterinnen bei dem GKP-Termin aus der Praxis berichten, ist drastisch. Da ist etwa der Fall eines Autozulieferers auf der Schwäbischen Alb, der seine kroatischen „Werkvertragarbeitskräfte“ ausgebeutet habe. Wer die vorgegebene Stückzahl in der Produktion nicht schaffe, erhalte keinen Lohn. Wer krank sei, müsse Überstunden anrechnen lassen. Außerdem wurden sie von der Werkvertragsfirma auch noch ausgebeutet, als es um die Wohnung ging. Die Kroaten wurden zu dritt in einem kleinen Raum untergebracht, 224 Euro wurden ihnen dafür direkt vom Lohn abgezogen – völlig überteuert. Beim Lohn fehlten durch Tricksereien auf dem Stundenzettel im Schnitt bis zu 400 Euro im Monat, zudem wurde der Lohn nur mit Verzögerung ausbezahlt. Frankovic konfrontierte den Arbeitgeber mit den Vorwürfen. Zusätzlich berichtete der SWR über den Vorfall, seitdem wird die Firma von mehreren Seiten unter Druck gesetzt, mit ihren kroatischen Arbeitskräften anständig umzugehen. Der Autozulieferer ist leider kein Einzelfall. Die beiden Beraterinnen berichten gegenüber der GKP von weiteren krassen Beispielen. „Manche Gastarbeiter rechnen schon damit, dass sie vier Monate in Deutschland arbeiten und davon aber nur zwei bezahlt bekommen“, erzählt Frankovic. Projektleiter John ergänzt: „In aller Regel wird den Leuten der letzte Monatslohn nicht bezahlt. Sie fahren dann einfach nach Hause, weil sie nicht wissen, wie sie sich wehren sollen.“ Manchmal liegt es auch daran, dass Arbeitnehmer mit falschen Vorstellungen nach Deutschland kommen. So sind es polnische Lkw-Fahrer gewohnt, neben dem Lohn zusätzlich einen erklecklichen Anteil an Spesen zu erhalten. In Deutschland sei der Lohn höher, dafür entfallen in der Regel die Spesen – mit denen sie aber gerechnet hatten. Auch auf dem Bau, berichtet Kempter, gehe es oft nicht fair zu: Der Mindestlohn werde umgangen, Überstunden werden nicht bezahlt. Dem wollen sich die Beraterinnen, die osteuropäische Arbeitnehmer aus ganz Baden-Württemberg betreuen, entgegenstellen. Sie beraten Betroffene kostenlos – in deutscher, polnischer, serbischer, kroatischer und slowenischer Sprache – , nehmen Kontakt zu den Arbeitgebern auf, weisen auf die Gesetzeslage hin, versuchen, faire Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Das gelingt in einer Reihe von Fällen – dann, wenn etwa Arbeitgeber zusagen, die Löhne neu zu berechnen und vor allem korrekt auszubezahlen. Die Projektverantwortlichen wollen schon in den Heimatländern falsche Vorstellungen abbauen: So informieren Broschüren in bulgarischer und rumänischer Sprache Menschen, die hier arbeiten wollen, über das, was auf sie als Kurzzeit-Arbeitskräfte in Deutschland zukommen kann. Und auf was sie in ihren Verträgen achten sollen. Im vergangenen Jahr suchten 265 Menschen die Beratungsstelle „Faire Mobilität“ in Stuttgart auf. In den anderen Stellen in München, Hamburg, Frankfurt, Berlin und Dortmund sieht die Fallzahlenstatistik ähnlich aus. Bis Oktober 2015 ist das Projekt mit Mitteln aus dem Bundesarbeitsministerium, der EU und vom DGB gesichert.