geschrieben von Christoph Strack
Rund zwölf Jahre lang war der Journalist Thomas Moritz Müller, heute 73 Jahre alt und seit 35 Jahren GKP-Mitglied, Betriebsratsvorsitzender in seinem Betrieb, dem Schwabenverlag in Ostfildern bei Stuttgart. Ein Wahl- und Ehrenamt, für das man zeitweise innerbetrieblich freigestellt ist. Im Interview blickt er zurück auf dieses Engagement.
Thomas, Du warst lange Zeit in der Arbeitnehmervertretung Deines Betriebes engagiert, warst drei Amtszeiten lang Vorsitzender des Betriebsrates. Dessen Aufgaben sind im Betriebsverfassungsgesetz geregelt – aber was genau macht ein Betriebsratsvorsitzender?
Die wichtigste Aufgabe ist es, den Vorsitz bei den Sitzungen des Betriebsrates zu führen, eine Tätigkeit, die bei uns im Betrieb mit fünf Mitgliedern plus Ersatzleuten, die bei Urlaub oder Krankheit oder Ausscheiden einsprangen, überschaubar war. Der Vorsitzende führt oft auch gleichzeitig die Geschäfte des Betriebsrates, ist zum Beispiel für die Aufstellung der Kosten etwa für Fortbildungen, Raummieten oder Fachliteratur zuständig. Und er ist – nicht der unwichtigste Punkt – Ansprechpartner der Unternehmensleitung.
Ist das ein arbeitnehmer-politisches Amt? Ein Dienst an den Kolleginnen oder Kollegen? Oder auch so etwas wie seelsorgerliches Engagement in säkularem Rahmen?
Von allem etwas. Ich fange beim letzten Aspekt an. Wir haben als Betriebsrat Sprechstunden angeboten. Da konnte jeder ins Betriebsratszimmer kommen, der etwas auf dem Herzen hatte. Manchmal war das schlicht und einfach Seelsorge oder Seelenpflege. Da konnte es um private Sorgen gehen oder um Probleme mit Kolleginnen und Kollegen. Als zweites ist es ein soziales Amt, eine soziale Aufgabe. Durch die Gespräche und durch die Kenntnis von Tarifverträgen und anderen Grundlagen bekam ich eine Ahnung davon, wie es den Kolleginnen und Kollegen ging. Ein Verlag als modernes Medienunternehmen besitzt vielerlei Betriebsteile. Als Betriebsrat kümmerst du dich da nicht nur um deine Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion, sondern auch zum Beispiel um die Leute im Vertrieb, in der Druckvorstufe oder um Putzkräfte. Da lernst du sehr unterschiedliche Tätigkeiten und Erwerbsbiografien kennen.
Mit vielleicht gegensätzlichen Erwartungen …
Allerdings, und auch mit verschiedensten Arbeitsplätzen, um die man sich zu kümmern hat. Deshalb ist das Engagement als Betriebsrat auch ein politisches Amt. Natürlich nicht unbedingt im großen Stil, das machen eher die Akteure, die gewerkschaftlich stärker engagiert sind und beispielsweise in einer Tarifkommission mitarbeiten. Aber unternehmenspolitisch bist du schon ein Mitspieler. Du bekommst Einblicke in die Entscheidungen der Geschäftsleitung. Du kannst Anstöße geben und in gewissem Rahmen durchaus mitbestimmen, was passiert – von der Personalpolitik bis zum Arbeitsschutz.
Du hast das Thema Gewerkschaft angesprochen. Als Du selbst in den Betriebsrat gewählt wurdest, gehörtest Du keiner Gewerkschaft an. Ist das typisch oder eher ungewöhnlich? Präzise beantworten kann ich das nicht. Aber nach meinem Eindruck kam das damals eher seltener vor. Das war aber bei meiner Wahl kein Kriterium. Nach meiner Wahl bin ich relativ zügig in den DJV eingetreten. Die Kolleginnen und Kollegen im Betriebsrat gehörten überwiegend Verdi an.
Brauchtest Du jemals Rechtsschutz in Deiner Zeit als Betriebsrat?
Rechtsschutz seitens der Gewerkschaft habe ich zu keiner Zeit gebraucht. Es kam aber schon vor, dass ich mir für Entscheidungen des Gremiums Rechtsauskunft einholte, wenn es beispielsweise um die Interpretation einzelner Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes ging.
Du warst bei einem katholischen Verlagshaus, Du bist katholisch – welche Rolle spielte die Kirchlichkeit? War das Thema?
Nicht so sehr bei konkreten Fragen. Aber ich kann schon sagen, dass ich als Christ für die Kolleginnen und Kollegen Verantwortung spürte. Das war mir bewusst wichtig. Ich habe mich in dieser Zeit mehr mit der katholischen Soziallehre und verwandten Themen beschäftigt. Das eine ist, solche Fragen journalistisch abstrakt zu behandeln, das andere, es in die konkrete Praxis zu integrieren.
Würdest Du nach Deiner Erfahrung GKPlern raten, sich in einer Mitarbeitervertretung zu engagieren?
Im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich das gemacht habe. Manchmal war es anstrengend, keine Frage, auch weil es zeitlichen Mehraufwand bedeutete. Manchmal gab es auch schwierige Situationen, abhängig von Personen in der Geschäftsleitung und Konstellationen im eigenen Gremium. Aber Gott sei Dank gab es über die meiste Zeit mit allen ein gedeihliches und vertrauensvolles Zusammenwirken. Da herrschte das Gefühl vor: Man zieht im Wesentlichen am selben Strang, auch wenn die Interessen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer naturgemäß oft unterschiedlich sind. Heute kann ich sagen: Ich habe viel dazugelernt. Vor allem habe ich wirtschaftliche Zusammenhänge besser verstanden, im Großen wie im Kleinen, volkswirtschaftlich wie betriebs wirtschaftlich. Deswegen habe ich immer darauf Wert gelegt, dass vor allem die jungen nachrückenden Betriebsrätinnen und -räte Fortbildungen in Anspruch nahmen. Ja, im Prinzip kann ich wirklich jeder und jedem nur raten, ein solches Engagement in Erwägung zu ziehen.