Interview

Peter Niesen: Autoritären Populismus eindämmen – aber wie?

| 6 min Lesezeit

Peter Niesen: Autoritären Populismus eindämmen – aber wie?

geschrieben von Joachim Frank

Wie steht es angesichts der Weltlage und den Wahlprognosen in Deutschland um die Demokratie? Bei der GKP-Jahrestagung in Hannover geht es um Herausforderungen für das demokratische Gemeinwesen und den freiheitlichen Staat. Der Hamburger Politikwissenschaftler Peter Niesen eröffnet die Tagung mit einem Impuls zu „demokratischer Regression“. Im Interview mit Joachim Frank erklärt er, was er damit meint, wie es dazu kommt – und was sich dagegen tun lässt.

Peter Niesen, geb. 1964, ist Professor für Politikwissenschaft, insbesondere Politische Theorie an der Universität Hamburg. Er wurde an der Goethe-Universität Frankfurt am Main promoviert und habilitiert und war von 2006 bis 2013 als Professor an der Technischen Universität Darmstadt tätig.

Herr Professor Niesen, für die GKP-Jahrestagung haben Sie einen Vortrag über „demokratische Regression“ angekündigt. Das klingt eher nach einem pathologischen als einem politischen Befund.

Niesen: Natürlich steckt eine negative Bewertung gegenwärtiger Prozesse in dem Ausdruck, wie sollte es nicht? „Pathologisch“ passt aber nicht, weil die Zustände kein Schicksal sind, sondern selbstverantwortet. Schließlich werden viele der als „demokratische Regression“ bezeichneten Dynamiken durch Wahlentscheidungen und eine breite Unterstützung der Bevölkerung legitimiert, wie man das in den USA unter Donald Trump oder in Ungarn unter Viktor Orban sieht.

Was ist denn nun mit demokratischer Regression gemeint?

Niesen: Die Demokratie definiert sich über schwer erkämpfte Errungenschaften wie politische Gleichheit, Inklusion, Responsivität, Menschenrechtsschutz, Verfassungsmechanismen. Wenn diese zurückgedrängt oder rückgängig gemacht werden; wenn beispielsweise populistische Amtsträger ihre eigene Abwahl nicht anerkennen – dann handelt es sich um Regression. Dasselbe gilt, wenn die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt oder der Medienpluralismus ausgehebelt wird.

Entwicklungen, die im „Demokratie-Index“ dazu führen können, dass ein Land von der Kategorie „funktionierende bzw. vollständige Demokratie“ auf „defizitäre bzw. unvollständige Demokratie“ heruntergestuft wird – oder noch tiefer in den Bereichen „Hybridregime“ oder „autoritäres Regime“ landet. Generell ist laut diesem Demokratie-Index die „funktionierende Demokratie“ weltweit im Rückzug begriffen.

Es gibt in der Politikwissenschaft eine kleine Kontroverse im Hinblick auf den wichtigsten dieser Indizes, den Kopenhagener Demokratieindex „V-Dem“, der seit der Jahrhundertwende in der Tat einen Rückgang demokratischer Qualität in ganzer Breite sieht. Manche Kolleginnen und Kollegen behaupten, das betreffe nur die liberale oder rechtsstaatliche Qualität. Es stimmt, dass autoritäre Populisten sich im Namen „wahrer Demokratie“ z.B. gegen Verfassungsgerichte und internationale Gerichtshöfe wenden, die ihre Handlungsfreiheit einschränken, und dass es in solchen Situationen erfolgreich sein kann zu sagen: Lasst uns die Kontrolle zurückgewinnen! Ich kann mit der Unterscheidung wenig anfangen, weil es ohne Rechtsstaat keine Demokratie gibt.

Wie geht „demokratische Qualität“ konkret verloren, und woran erkennt man das?

Niesen: Der wohl kaum bestreitbare Fall ist Trump, der als Präsident 2021 den rechtmäßigen Machtwechsel zu seinem gewählten Nachfolger sabotieren wollte. Aber auch die Übernahme von Gerichten durch die Regierungspartei und insbesondere die Kontrolle über die Medien durch die Regierungspartei dürften klare Fälle sein. Das bedeutet: Demokraten können autoritären Populisten nicht trauen, auch wenn sie das Wahlsystem nicht antasten. Ein anderes Phänomen, das wir jetzt aktuell in den USA verfolgen, ist die „Oligarchisierung“ von Demokratie. Das heißt, dass Machtwechsel zur Zerlegung der staatlichen Infrastruktur genutzt werden, zur Bereicherung von Parteigängern und direkter politischer Einflussnahme. Es findet quasi eine Enteignung des demokratischen Staats statt. Auch das müssen wir als Regression verstehen und untersuchen.

Wie nehmen solche Entwicklungen Fahrt auf?

Niesen: Ein Problem sehe ich auch in stabilen Demokratien wie der Bundesrepublik darin, dass populistische Akteure stärker werden, die einen bestehenden demokratischen Konsens aufkündigen, etwa was die Einschätzung des Nationalsozialismus angeht, oder die ein völkisches Demokratieverständnis vertreten. Auch wenn man mit denen nicht koaliert, schränken sie die Beweglichkeit der Demokratie für Richtungsentscheidungen innerhalb des Verfassungsrahmens ein. Wir sehen im Moment, dass der für viele plausibelste Ausgang der Bundestagswahl eine große Koalition ist. Aber Demokratie lebt davon, dass der Richtungswettkampf auch einen Unterschied machen kann.

Desavouiert sich die Demokratie gerade selbst, oder ist sie dabei, sich selbst abzuschaffen? Manche erinnern sich mit Schaudern daran, dass Hitler 1933 auch über eine demokratische Wahl an die Macht kam.

Die folgende Zerstörung der Weimarer Republik hat ja die Parteienkonkurrenz abgeschafft, und die gab es später auch in den sozialistischen Staaten nicht. Das wird man Orban oder Trump bislang nicht nachweisen können. Allerdings gehört zur Parteienkonkurrenz ein faires Spielfeld, und die an die Macht gekommenen Populisten versuchen, dieses Feld durch Verfassungsreformen (Orban) oder die Übernahme des (unterstellt) überparteilichen Beamtenapparats (Trump) umzupflügen. In regredierenden Demokratien dann noch durch Wahlen einen wirklichen Macht- und Politikwechsel herbeizuführen – und das ist ja eine Minimaldefinition funktionierender Demokratie -, ist ungeheuer schwer, auch wenn Wahlen und Parteienpluralismus nicht abgeschafft werden. Ein Lehrstück ist derzeit aber vielleicht eher, wie ein amerikanischer Kollege bemerkt hat, die Zerlegung des Staatsvermögens in Russland seit dem Jahr 1990. In den Staaten, die sozusagen die Speerspitze der Regression bilden – Ungarn, Türkei, USA – sieht man, wie persönliche und familiäre Bereicherung und demokratischer Verfall Hand in Hand gehen.

Zittern Sie angesichts dessen um unsere Demokratie?

Niesen: Die Bedingungen, in der Bundesrepublik einen fairen Wahlkampf zu führen, sind besser als anderswo. Das Parteiensystem ist nicht völlig instabil, die Medieninfrastruktur nicht am Boden. Die Chancen, gegenüber völkischen Akteuren einen „Cordon sanitaire“ aufrechtzuerhalten, sind bei uns vergleichsweise größer als in Österreich, den Niederlanden oder Italien.

Welche Ansätze sehen Sie zur Überwindung der demokratischen Regression?

Niesen: Im Moment richten sich viele Diskussionen darauf, die Rekrutierung der Verfassungsrichterinnen und -richter zu schützen oder die AfD zu verbieten. Dafür gibt es gute Argumente, die aber offenbar nicht geeignet sind, 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler von der AfD wegzuholen. Ich denke, dass politische Instrumente wie Infrastruktur sanieren, in Bildung investieren, Medienpluralismus sichern, politische Chancengleichheit stärken, den autoritären Populismus eindämmen und damit auch die demokratische Regression.

Bildnachweise: