geschrieben von Joachim Frank
Eigene Medienangebote sind für die Arbeit der Kirchen essenziell, sagt Birgit Wentzien, Chefredakteurin des Deutschlandfunks im Interview mit den GKP-Informationen. Zugleich wünscht sich die Journalistin von konfessionellen Medien „mehr Disput, mehr Lust an der Kontroverse“. Ein Gespräch anlässlich des GKP-Verbandsjubiläums. Wentzien gehört zu den Gästen der Jahrestagung in Köln.
Frau Wentzien, haben Sie sich schon von Künstlicher Intelligenz (KI) bei Ihrer Arbeit helfen lassen?
Nicht direkt. Mein Patenkind hat mich mit Hilfe von KI in ein Boulevard-Magazin der ARD hineinmontiert. Das war eine sehr spezielle Erfahrung, wenn auch rein virtuell. Aber im Ernst: Ich bin sehr neugierig darauf, wie KI uns als Sender helfen kann, besser zu werden. Es gilt, Chancen und Gefahren zu begreifen.
Sie stellen als erstes die Chancen heraus: besser werden. Wo sehen Sie für den Deutschlandfunk die Potenziale?
Zum Beispiel beim Zuwachs an Wissen über unsere Hörerinnen und Hörer, unsere Userinnen und User – und über deren Interessen. Ganz wichtig: Alles, was wir mit Hilfe der KI tun, müssen wir transparent und nachvollziehbar machen.
Sie sehen die KI also nicht als nächsten Sargnagel für den Journalismus, wie wir ihn kennen?
Es ist doch so: Aufhalten können wir die Entwicklungen nicht. Sich angstvoll wegzuducken, wäre auch falsch. Nicht die KI bedroht unsere Arbeit, sondern diejenigen, die sie in böser Absicht nutzen.
Was sind derzeit die größten Herausforderungen für den Journalismus?
Für unseren Sender im Kölner Süden gilt es, das hohe Gut der vertieften, nicht kurzatmigen Information zu schützen und verteidigen. Wir dürfen „drei Sätze am Stück reden“, wie Altbundespräsident Joachim Gauck es einmal zu einem DLF-Jubiläum gesagt hat. Damit das so bleibt, müssen wir die Nase im Wind behalten und unsere Hörerinnen und Hörer auch immer wieder überraschen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht vielfach in der Kritik: Skandale, Gebührendebatten, Attacken auf eine angebliche Staatsnähe. Wird es das öffentlich-rechtliche System in Deutschland in 20 Jahren noch geben?
Wenn wir diejenigen nicht nur gewähren lassen, sondern auch bestärken, die Fehler in den Häusern ausfindig und publik machen. Wenn wir aus der veritablen Krise des Systems Konsequenzen ziehen. Die Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht auf dem Prüfstand. Wir müssen über die Schwächen reden und aus den Fehlern lernen. Dann wird es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch noch 2043 geben – auf anderen Ausspielwegen, aber als hohes Gut.
Andere Ausspielwege – soll das heißen, nicht mehr als lineares Programm?
Doch. Aber wir haben vom Bundesverfassungsgericht den Auftrag bekommen, auch die junge Generation mit unseren Inhalten zu erreichen. Also müssen wir sehr klug überlegen, auf welchen Wegen wir – bei mutmaßlich sinkenden Etats – diese Menschen erfolgreich ansprechen.
Und das geht mit den genannten „drei Sätzen am Stück“ – also den langen Formaten des Deutschlandfunks?
Der Zuspruch zu unseren Podcasts – um ein Beispiel zu nennen – ist groß. Das ist eine andere Form journalistischer Aufbereitung von Inhalten, aber immer „deutschlandfunk-like“.
Was ist mit Zeitungen – in 20 Jahren?
Auch die Zeitungen wird es noch geben. Auf anderen Vertriebswegen. Als Medium, das Regionalität und den Blick in die Welt verbindet, halte ich Zeitungen für unersetzlich.
Was ist Ihr größter Kritikpunkt beim Blick auf die gegenwärtige Medienlandschaft?
Wir sind zu defensiv. Wir sollten das, was wir leisten, frohgemut ins Schaufenster stellen. Die Freiheit der Presse und des Rundfunks, die wir als Journalistinnen und Journalisten in diesem Land genießen, ist spektakulär. Das müssen wir leben – und verteidigen.
Wie schauen Sie auf kirchliche Medien?
Dieses Angebot braucht es unbedingt – genau so, wie es überregionale oder regionale Medien braucht. Die Kernbotschaft kirchlicher Medien ist seit 2.000 Jahren bekannt. Deshalb geht es – vielleicht noch mehr als bei anderen – zentral um die Frage: Wie erreichen diese Medien ihr Publikum?
Welche kirchlichen Angebote nehmen Sie wahr?
Ganz stark „chrismon“, das evangelische Magazin. Ganz stark epd und KNA. Ich beobachte auch sehr genau, was die Kolleginnen und Kollegen tun, um die junge Generation zu erreichen. Das ist für mich lehrreich.
Braucht es eine evangelisch oder katholisch gelabelte Nachrichten-Agentur? Nachrichten sind Nachrichten?
Zum einen sehe ich bei den konfessionell geprägten Agenturen eine spezifische Kompetenz und eine besondere Aufmerksamkeit für ihr zentrales – und, wie ich finde, wichtiges – Themenfeld Religion, das bei anderen Anbietern eher an der Peripherie angesiedelt ist. Zum anderen glaube ich, dass ein christlich fundierter Journalismus einen eigenen Fokus auf die – hoffentlich uns alle – verbindenden Werte wie Meinungs- und Redefreiheit oder Toleranz richtet. Die 2.000 Jahre alte Botschaft hat auch dafür eine bleibende Bedeutung.
Erwächst daraus sogar eine Pflicht der Kirchen, mit eigenen, solide finanzierten Medienangeboten in den Diskurs der pluralen, säkularen Gesellschaft zu gehen?
Medienarbeit darf für die Kirchen kein Luxus sein. Sie ist für ihre Arbeit essenziell. Ich sehe daher die jüngsten Kürzungen und Streichungen sehr kritisch. Als Protestantin denke ich hier zuerst an das Aus für die „Evangelische Journalistenschule“. Das sind Verluste, die sich kommunikativ nicht mehr wettmachen lassen. Inhaltlich würde ich mir von den verbliebenen kirchlichen Medien mehr Disput wünschen, mehr Lust an der Kontroverse – in einer Form, die sich vom sonst leider üblichen Gezeter und Geschrei unterscheidet. Streiten muss man können. Kirchliche Medien sollten vormachen, wie das geht.
Was macht Ihnen in Ihrer journalistischen Arbeit Hoffnung?
Die junge Generation von Journalistinnen und Journalisten. „Frau Wentzien, wie ist das mit dem Duzen im DLF?“ – „Wie ist das mit KI?“ – „Wir würden gerne mal was Neues ausprobieren!“ Solche Impulse, die Leidenschaft und Neugier mit dem klassischen Handwerk verbinden, sind inspirierend und begeisternd.
Und wie ist es mit dem Duzen, Frau Wentzien?
Die jüngere Generation auf „Deutschlandfunk Nova“ duzt. Ich persönlich bin eine erklärte Freundin des „Hamburger Sie“. Damit fühle ich mich am wohlsten.
Dann, Birgit, danke ich Ihnen für das Gespräch.
Ich danke Ihnen, Joachim. Wir sehen uns beim GKP-Jubiläum in Köln!
ZUR PERSON
Birgit Wentzien, geboren 1959 in Hamburg, ist seit 2012 Chefredakteurin des Deutschlandfunks. Sie hat in München Kommunikations- und Politikwissenschaften studiert und die Deutsche Journalistenschule absolviert. Ihre journalistische Laufbahn begann sie beim ehemaligen SDR. 1993 wurde sie Hauptstadtkorrespondentin des später mit dem SWF zum SWR fusionierten Senders.