geschrieben von Felix Neumann
Schwester Miriam Arens aus Ghana fesselt Teilnehmer aus der GKP-Rheinland-Gruppe mit Eindrücken aus 25 Jahren der Sterbebegleitung im Johannes-Nepomuk Haus in Köln, das sie gegründet hat. Foto: Karla Sponar
„Was können wir für Sie tun?“ begrüßt Miriam Arens den neuen Mitbewohner im Kreis. Im Durchschnitt bleiben die Neuen rund 22 Tage dabei. Es ist die letzte Station nach dem Krankenhaus. Wer von dort kommt, wurde mit dem Hinweis verabschiedet mit den Worten „… können nichts mehr für Sie tun“. Deshalb machen sich diejenigen, die zu Schwester Miriam kommen, in der Regel keine Illusionen. Ihnen kann keiner mehr helfen.
Aber so begrüßt zu werden, als dürfe man wieder Wünsche äußern und sogar darauf hoffen, dass sie erfüllt werden, fühlt sich an, als wäre plötzlich etwas möglich auf dieser Welt. Schwester Miriam hat nur wenig Zeit, es dem Gast zu vermitteln. Aber es ist eine besondere Zeit, in der wieder vieles sein darf, was lange vorher verboten, unmöglich und unerwünscht war.
„Wenn sie ein Medikament nicht mehr nehmen wollen, lassen wir es weg. Wenn jemand seine Lieblingsspeise essen will, obwohl er sie gar nicht mehr verdauen kann, bekommt er sie.“ Für die Ghanaerin zählt nur noch: „Wie können wir unseren Bewohnern eine Freude machen, ihre Schmerzen lindern, ihnen Sorgen abnehmen.“ Letzteres ist manchmal wichtiger. Denn soviel steht fest: „Mit physischen Schmerzen muss heute keiner mehr sterben – dagegen haben wir ausreichend Mittel.“ Die seelischen Schmerzen stehen auf einem anderen Blatt, sind mit Spritzen nicht zu heilen – sondern mit Zuwendung und Nähe, mit Gespräch und Beistand, manchmal auch nur mit Präsenz, die zeigt: Ich bleibe bei Dir, wenn es am schwersten ist und keiner mehr kommt, nicht mal die engsten Freunde oder Angehörigen. Genau da, ist die Hospizbewegung stark.
Der letzte Abschied – das Thema ist „ständig da, aber wir müssen nicht dauernd darüber reden.“ Bisweilen reichen Gesten. Fehlt einer dauerhaft in der Gemeinschaft auf Zeit, wird eine Kerze für ihn oder sie aufgestellt. Früher wollten viele den schnellen Herztod. Heute wünschen sich mehrere Menschen, bewusster in den Tod zu gehen, hört Schwester Miriam jetzt öfter. „Manchmal brauchen wir einen Kompass. Ganz buchstäblich: damit wir jemanden in Richtung Mekka drehen können. Der Betreffende wollte so vorbereitet sterben.“
Vieles ist nur mit Humor zu ertragen. Manches bleibt in der Luft hängen. „Ich erinnere mich noch gut, wie ein Mann seinen 60. Geburtstag vorbereitet hat. Er wollte ihn unbedingt in seiner neu gewonnenen Familie feiern, so hat er unsere Gemeinschaft genannt. Er war richtig sauer, als die Stunde kam – zu schnell kam, zum Schluss ballte er noch die Hände zur Faust.“ Auch nach über 25 Jahren der Sterbebegleitung gehen solche Erlebnisse den Hospizbetreuern nah. Letzte Wut, so unmittelbar gezeigt, hat sie ebenso mitgenommen wie gerührt. Nach diesem Gedanken schweigt Schwester Miriam kurz, ohne einen Zweifel zu lassen: „Ich konnte ihn gut verstehen.“
Solche Verbundenheit stärkte bei einem anderen Gast den Selbstwert. Er war durch Operationen im Gesicht sehr entstellt. Die Wunden verbreiteten keinen guten Geruch. Er versteckte sich vor anderen, merkte, dass sich viele vor ihm ekeln. Nach einer Zeit der intensiven Behandlung mit Aroma- und anderen Therapien, wurde er so zuversichtlich, dass er sich noch einmal unter Menschen wagte, auf die Straße, geschützt von Begleitern, aufgehoben in der Gemeinschaft, in konsequenter Nächstenliebe.
Karla Sponar