Aus den GKP-Informationen

Jesus ein Influencer?

| 5 min Lesezeit

geschrieben von Doris Wiese-Gutheil

Pater Christof Wolf, der geistliche Beirat der GKP, zeigt in seinen Überlegungen zur Menschwerdung Christi, wie falsch die These ist, Jesus wäre heute ein Influencer:

Wie stark möchten Sie in Ihrem Leben beeinflusst werden? Bitte tragen Sie einen Wert auf der Skala von eins bis zehn ein: 1 = wenig, 10 = sehr viel. Das wäre doch auch mal eine Umfrage wert, oder? Eine solche wird aber wohl kaum stattfinden, da man zu Recht vermutet, dass die meisten Menschen nicht gerne beeinflusst werden, sondern ihr Leben autonom leben und gestalten möchten. Das englische Wort „influence“ bedeutet als Verb beeinflussen, prägen, einwirken, als Substantiv sogar noch Bannkreis. Wenn im Medienbetrieb von Influencern die Rede ist, hat man den Eindruck, die Bedeutung werde ins rein Positive verschoben. Zuweilen hört man auch die Forderung, die Kirche solle dringend Influencer aufbauen, um den Glauben wirksam in der Mediengesellschaft zu verkünden, ja sogar Jesus selbst wäre ein heutiger Influencer gewesen. Das klingt auf den ersten Blick gut. Jesus, der prägt, der in den Bann zieht – hat er nicht die Weltgeschichte durch sein Leben, Sterben und Auferstehen beeinflusst?

Die Influencerin Xenia Tchoumi definierte das Wort in einem NZZ-Interview so: „Ein Influencer ist jemand, dessen Position, Meinung und Vorstellung zu einem bestimmten Thema – Mode, Technik, Food, Schönheit, was auch immer – von einem so allgemeinen Interesse ist, dass ihm andere freiwillig folgen. Aber: Die Leute, die dir folgen, müssen sich wirklich für dich interessieren, dafür, wer du bist, wie du denkst, was du tust.“ Die mündige Konsumentin wird also gar nicht einfach so beeinflusst, sondern sie will beeinflusst werden, außerdem kann sie ja jederzeit abschalten. Dennoch wird man ein gewisses Unbehagen nicht los. Interessant, dass Tchoumi zunächst Dinge aufzählt wie Mode, Schönheit, Food etc. Heißt denn „was auch immer“: Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Glaube, Liebe, Hoffnung, Freundschaft, Leiden, Tod? Und hätte dann zum Beispiel die FAZ nicht besser Zeit, Energie und Geld in das Aufbauen von Influencern gesteckt, statt in die „‚Deutschland spricht‘-Debatte“, das Gespräch von Angesicht zu Angesicht?
Aufschlussreich ist die Art und Weise, wie Influencer heute wirken: In der Regel mit ihrem Youtube-, Instagram- oder sonstigen Kanal – auf alle Fälle über das Internet, mit dem Ziel, möglichst viele Abonnenten, Abrufe, Klicks und Likes zu bekommen. Und natürlich auch Einkünfte, von denen sie leben können. Ganz anders Jesus: Er war weder in einer Virtual Reality (Beinahe-Wirklichkeit) unterwegs, noch hat er die Botschaft vom Reich Gottes verkündet, um davon ein Einkommen zu haben. Jesus scheint auch eher skeptisch, was große Zahlen angeht. Anstatt durch Werbe-Events neue Gefolgsleute herbeizulocken, sagt er schlicht: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.“ (Mt 9,37-38). Gott ist es, der ruft und beruft, nicht ein Business-Modell. Und wenn Jesus beruft, lädt er ganz persönlich zur Umkehr ein – das Entscheidende geschieht im jeweiligen Menschen. Hätte eine heutige Influencerin überhaupt Zeit, sich mit ihren freiwilligen Followern zu treffen und in persönlichen Kontakt zu treten? Wie viel echte Beziehung ist für uns denn möglich und wie viel davon verträgt ein Mensch?
In der diesjährigen repräsentativen Jugend-Digitalstudie der Postbank heißt es: „An einem typischen Tag sind deutsche Jugendliche 9,7 Stunden online. Abzüglich Schul- und Schlafenszeit somit praktisch durchgehend. Und das an mehreren Tagen pro Woche. Allein für das Smartphone sind es 5,2 Stunden an 6,5 Tagen pro Woche. Zusammengerechnet macht das 58 Wochenstunden Internetzeit für den durchschnittlichen Jugendlichen in Deutschland.“ Sehr attraktiv klingt das nicht. Wie sieht so ein Leben aus? Ständig erreichbar und gleichsam am kalten Bildschirm klebend. Die Algorithmen „kennen“ keine Emotionen oder Bewusstsein, sie „erleben“ nichts. Wo bleibt da Zeit für gelebte Beziehungen? Oder zum Abschalten, Runterkommen, Verarbeiten oder Stille-Sein? 2,5 Stunden dieser Internetzeit werden für Studium, Schule oder Beruf verwendet. Bleiben noch 7,2 Stunden. Ein Großteil davon gilt sicher auch dem gestreamten Bewegtbild. Gerade umweltschützend ist das übrigens auch nicht: Eine Stunde Video-Streaming hat denselben CO2- Ausstoß wie 13 Kilometer Autofahren…
Wenn wir wie jedes Jahr wieder Weihnachten feiern, dann feiern wir die Menschwerdung Gottes in der Welt. Aber nicht als historischen Moment in der Zeitgeschichte, sondern wie Meister Eckhart es gedacht hat: Gott wird in jedem Menschen neu geboren. Dazu braucht es keine Technik, kein Smartphone oder Tablet, aber ein Herz, das sich von Gott berühren lässt. Hat der moderne Mensch noch Zeit und Resonanz-Raum dafür?
Christof Wolf SJ