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Annas Erscheinung

| 5 min Lesezeit

geschrieben von GKP

Am Beispiel des Films „L‘ Apparition“ (Die Erscheinung, 2018) von Regisseur Xavier Giannoli zeigt P. Christof Wolf SJ in den GKP-Informationen, dass wir Glaubenserfahrungen anderer Menschen nicht als die unsrigen integrieren können.

Der Reporter Jacques Mayano ist geschockt. Jetzt ist es doch passiert. Jahrelang war Christophe als Fotograf an seiner Seite. An unzähligen Kriegsschauplätzen haben sie gemeinsam das Geschehen dokumentiert, um den betroffenen Menschen eine Stimme zu geben. Und nun ist er beim letzten Einsatz in Syrien brutal ums Leben gekommen. Stumm besteigt Jacques das Transportflugzeug mit dem Sarg seines Freundes und fliegt nach Hause. Doch das Geschehene lässt ihn nicht los. Zum Leidwesen seiner Familie verbarrikadiert er sich. Klebt alle Fenster und Türen zu. Zudem leidet er an einem Hörsturz. Aber deshalb den Beruf aufgeben? Niemals! Wann kann ich wieder arbeiten, fragt er den Arzt. Da erreicht ihn ein Anruf aus Rom. Der Anrufer gibt sich sehr schmallippig. Nein, genaue Details könne er nicht nennen, aber der Kardinal übernehme alle Reisekosten, und es sei sehr wichtig, dass Jacques in dieser delikaten Angelegenheit nach Rom komme. Jacques ist skeptisch. Was will dieser Kardinal der römischen Glaubenskongregation von ihm? Letztlich siegt die journalistische Neugier. „Sind Sie religiös?“ fragt ihn der Kardinal. „Ja, aber ich gehe nicht in die Kirche, wenn Sie das meinen.“ – „Sehr gut! Dann sind Sie bestens geeignet.“ Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Ausgerechnet er soll mit anderen Expertinnen und Experten eine Marienerscheinung in Südostfrankreich auf ihre Echtheit untersuchen?

Nachdenklich macht er sich auf den Weg. Stimmt das, was die 18-jährige Anna erzählt? Oder ist alles nur Aberglaube und religiöser Fanatismus? Zunächst ermittelt er vor allem in Annas Vergangenheit. Sie war ein Waisenkind, das kaum Freundinnen hatte. Und jetzt möchte Anna in ein Frauenkloster eintreten? Anna stimmt einer Befragung durch die Kommission zu. Und was zunächst wie ein Tribunal aussieht, entpuppt sich als nüchterne, ruhige Befragung. Keine Aggressionen, kein Versuch, die junge Frau in die Enge zu treiben.
Jacques beobachtet Anna in verschie-densten Situationen genau: mitten im Medienrummel, in Gottesdiensten, in Begegnungen mit den Männern und Frauen, welche sie als Seherin verehren oder instrumentalisieren. Er trifft sie auch ein paar Mal persönlich. Und dann ist da noch Père Borrodine, der Ortspfarrer, der Anna beschützt und sie gemeinsam mit den Nonnen von der Öffentlichkeit fern hält. Der Père erweist sich als getreuer Schüler von Papst Franziskus. Wie dieser kämpft er gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“. Die Marienerscheinung soll die Pilger vor allem dazu motivieren, den Notleidenden, Ausgegrenzten und Flüchtlingen in tiefer Liebe zu begegnen. Aber Jacques bleibt skeptisch. Zu viele nutzen offensichtlich Annas Geschichte für ihre eigenen Interessen. Und auch Anna selbst traut er nicht. Ihre Antworten sind allzu glatt. Der Film „L‘ Apparition“ (Die Erscheinung, 2018) von Regisseur Xavier Giannoli nimmt jetzt eine tragische Wendung: Anna überlebt den Druck von allen Seiten nicht. Mit ihrem Tod scheinen alle Fragen offen zu bleiben. Hat sie wirklich die Marienerscheinung gehabt oder nicht? War da nicht noch Mériem, Annas beste Freundin? Doch diese ist nach Annas Erscheinung „zufälligerweise“ verschwunden. Mit akribischer Detektivarbeit ermittelt Jacques schließlich Mériems Aufenthaltsort in einem Flüchtlingslager in Syrien und macht sich auf, sie zu besuchen. Zeitgleich trifft sein Abschlussbericht über die Marienerscheinung im Vatikan ein.
Diese Arbeit hat Jacques verändert. Er, der Skeptiker, hat viele Menschen echten Glaubens kennengelernt, eine Tiefendimension von Spiritualität, die ihm in seiner Jugend keineswegs fremd war. Und es hat ihm geholfen, den traumatischen Verlust seines Freundes zu überwinden. Eine echte Überraschung ist das Ende des Films, Jacques Treffen mit Mériem. Sie gesteht ihm, dass sie selbst die Erscheinung gehabt hat und Anna nur dabei war. Ihr war klar, die Erscheinung würde sich nicht verheimlichen lassen, aber sie wollte kein religiöser Star werden und überließ gern Anna die Publizität. Im Grunde zeigt Annas Scheitern, dass wir Glaubenserfahrungen anderer Menschen nicht als die unsrigen integrieren können.
Es gibt eine interessante Parallele in den Evangelien, da fordert Jesus die Geheilten immer wieder auf, nicht darüber zu sprechen. Allerdings ist er damit nicht sehr erfolgreich „Doch je mehr er es ihnen verbot, desto mehr verkündeten sie es“ (Mk 7, 36). Das führt sogar so weit, dass Jesus zuweilen nicht mehr öffentlich auftreten kann (Mk 1, 45). Wenn Publicity die religiöse Erfahrung in Beschlag nimmt, überdeckt sie das Wesentliche. Unser Glaube vorausgesetzt, kann Gottes Liebe die Wirklichkeit verändern, uns heilen, uns einen Neuanfang in unserem Leben schenken. Wenn wir unseren Gotteserfahrungen trauen, lassen sie sich auch wirklich integrieren – in das Leben eines echt spirituellen, mystischen Menschen.