geschrieben von Doris Wiese-Gutheil
In der Rubrik „Abenteuer im Beruf“ schreibt Sonja Toepfer in den GKP-Informationen.
Toepfer ist Autorin und Filmemacherin in Wiesbaden. Sie widmet sich neben der Videokunst dem experimentell dokumentarischen Film und der Rauminstallation.
Wenn ich im deutschen Wörterbuch „Wahrig“ nachschaue, wird Abenteuer als „gefährliches Wagnis“ und als „nicht alltägliches Ereignis“ bezeichnet. Egal wie stürmisch diese Ereignisse nun sind, kann man davon ausgehen, dass der Akteur die bestehende Gefahr gut übersteht. So verhält es sich zumindest in Abenteuerfilmen. Aber wie verhält es sich in meiner Arbeit? Sehe ich die Wagnisse auf mich zukommen oder stürze ich mich sogar in riskante Erlebnisse hinein?
Seit 2005 arbeite ich als freischaffende Filmemacherin und Künstlerin. Mit den Mitteln des Filmes und der Kunst setze ich mich vor allem mit den existentiellen Fragestellungen auseinander, oftmals im Auftrag von öffentlichen Einrichtungen und Organisationen.
Wenn mich jemand nach meinen Themen fragt, dann sage ich immer, dass ich alles, was den Menschen „weh tut“ in den Fokus meines Schaffens rücke, alles was in die tiefste Existenz geht und auf das hinweist, was größer ist als die menschlichen Voraussetzungen: zum Beispiel die von Missbrauch geschundenen Seelen von Heimkindern, die Gottsuchenden zur NS-Zeit, das Zeitzeugengespräch mit dem Holocaustüberlebenden, das Gespräch mit dem Arzt, der die Wahrheit seines früheren Tuns entdecken will. Es gibt Begegnungen, die fühlen sich bis ans Ende der Tage wie Abenteuer an und manchmal finden diese Begegnungen sogar Einzug in die Presseberichterstattung.
Welches Wagnis mein von der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau beauftragter Film zur Rolle der Medizin in der Fürsorgeerziehung der Jahre 1950 bis 1975 darstellen sollte, konnte ich, als ich 2017 mit den Dreharbeiten begonnen habe, nicht ahnen. Ehemalige Mediziner und mit der Unterbringung befasste Fachleute nahmen Stellung dazu, was am Kind als gesund oder krank, normal oder abweichend gesehen wurde und mit welchen medizinischen Mitteln auf das erziehungsschwierige, gefährdete, verhaltensauffällige bzw. auch gefährliche Kind eingewirkt worden ist.
Die Zeitzeugengespräche konnte ich mit Stellungnahmen von Experten abrunden, die sich mit der historischen Aufarbeitung der Heimfürsorge und den damaligen medizinischen, ruhigstellenden Maßnahmen in der Erziehungshilfe auseinandersetzen. Es wurde deutlich, dass die Ärzte ein fehlendes Mitgefühl hatten und ohne therapeutische Notwendigkeit schmerzhafte und riskante Untersuchungen vornahmen. Besonders hervor tat sich ein Arzt, der schon in der NS-Zeit medizinisch tätig war.
Meine Auftraggeber gaben mir auf der einen Seite völlig freie Hand, auf der anderen Seite waren sie dann von den Ergebnissen irritiert und wollten zur Veröffentlichung des Films einen Zeitplan erarbeiten. Ich untergrub diesen Zeitplan unwissentlich, weil ich vorher mit zwei Pressevertretern gesprochen hatte. Die Veröffentlichung wurde ein Ritt, und die Auftraggeber taten einiges dafür, dass die düstere Vergangenheit aufgearbeitet wurde.
Mir ist bewusst geworden, dass ich mit einigen beruflichen Entscheidungen, die ich für mich getroffen habe, ein wesentliches Stück weitergekommen bin und neue Möglichkeiten gewinnen konnte. Letztendlich ist jeder Auftrag eine Chance, dass die Taube sich zu einem großen Falken wandelt, der durch den noch verhangenen Himmel gegen die Sonne zu fliegen weiß. Mit jedem neuen Tag trage ich meine beruflichen Erfahrungen in der Hoffnung weiter, dass diese unter meinen Füßen zu neuen Klängen widerhallen und mich aufmuntern, neue Wege zu beschreiten.